von Steffi Becker

Wie es sich wohl anfühlt, als junge, jüdische Frau in Berlin zu leben und jedes Mal beim Verlassen der Wohnung am Stolperstein vorbeizugehen, der für die eigene Urgroßmutter gesetzt wurde? Bei Nike ist das so. Sie lebt heute, hat studiert, hat einen guten Job, bei dem es um Austauschprogramme für Akademiker geht, sie ist weltoffen. Und dann sind da die Geschichten und Erfahrungen ihrer Mutter, der Großmutter und der Urgroßmutter, die in ihnen allen weiterleben, auch wenn sie selten ausgesprochen werden.

Als Nike für ihren Job eine Konferenz in Tel Aviv organisieren soll, beschließt sie kurzerhand und ohne lange nachzudenken, dorthin umzuziehen. Sie nennt es „Alija“, ein Begriff, der seit vielen Jahrhunderten die Rückkehr von Juden aus aller Welt nach Israel bezeichnet. Nike organisiert einen Wohnungstausch mit einer Frau aus Tel Aviv und findet sich kurze Zeit später in deren Wohnung wieder, mitten in einer anderen Kultur, aber unter Menschen, deren Geschichte sie in so mancher Hinsicht teilt.

Sie trifft auf Noam, einen Journalisten, mit dem sie sich sofort verbunden fühlt. Beide fühlen sich sofort sehr vertraut miteinander, sprechen dies auch aus und lassen sich sehr behutsam aufeinander ein. Doch auch Noam trägt tiefe Verletzungen in sich. Er ist bei seinem Onkel aufgewachsen, weil seine Mutter nach dem frühen Tod des Vaters nach Deutschland zurückgekehrt war. Onkel Asher war und ist mit der Situation auf der einen Seite überfordert, auf der anderen Seite kann er Noam nicht loslassen.

Wie kann das also gehen mit Nike und Noam? Mirna Funk schreibt über diese beiden Menschen, ihre Vergangenheit und Gegenwart und über deren Welt, in der alles miteinander verbunden ist. Dabei erscheinen Berlin und Tel Aviv als pulsierende, moderne Großstädte mit einer komplexen Geschichte. Und auch die Menschen um Nike und Noam herum unterscheiden sich sehr durch ihre Herkunft und ihre Kultur. Den wichtigsten Unterschied macht am Ende aber die Haltung der Menschen zueinander. Wie kann man einander helfen, stark zu werden und Wunden zu heilen, anstatt sich immer wieder gegenseitig zu verletzen? Dieser Roman ist lebendig und kraftvoll. Man liest ihn mit großem Mitgefühl für die beiden Protagonisten.